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Deutschlands eID-Puzzle hat Estland schon längst gelöst

Das deutsche Vorhaben, öffentliche Dienste online verfügbar zu machen, wird durch ein Problem bei der Authentifizierung aufgehalten. Dabei muss Deutschland für Antworten nur nach Estland schauen.

Eine der letzten Errungenschaften der vorherigen Großen Koalition ist das Onlinezugangsgesetz (OZG), das darauf abzielt möglichst alle Verwaltungsleistungen bis 2022 online verfügbar zu machen. Ein großes Unterfangen mit einem großen Hindernis: Es gibt keine verbreitete Methode zur Online-Authentifizierung, mit der die Bürger sich für die elektronischen Verwaltungsleistungen ausweisen können. Ohne eine solche Methode können elektonische Verwaltungsleistungen schlichtweg nicht genutzt werden.

Der im neuen Koalitionsvertrag als universelles Authentifizierungsmedium festgelegte elektronische Personalausweis (nPA) wird allein nicht ausreichen. Nur ein Drittel aller Nutzer haben die elektronischen Funktionen des Personalausweises überhaupt freigeschaltet und wiederum nur 15% dieser Nutzergruppe haben, laut Zeit, jemals die Online-Funktionen tatsächlich benutzt. Kartenlesegeräte sind teuer, der appbasierte Kartenleser wird nur von einigen Android-Geräten unterstützt und stellt an sich keine umfängliche mobile Authentifizierungslösung dar.

Und nun? Für Deutschland bietet sich ein Blick nach Estland an. Dort hat die Regierung nicht nur das Authentifizierungsproblem vor langer Zeit gelöst, sondern zugleich mit einer wohl durchdachten Strategie für elektronische Identität und Authentifizierung das Fundament zur Digitalisierung der Verwaltung und der gesamten Gesellschaft gelegt.

Erfahrungen aus Nordosteuropa

Als sich Estland zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Frage der Authentifizierung auseinandersetzen musste, entschied sich die Regierung für einen neuartigen Ansatz: Kooperation mit dem Bankensektor. Die in Estland präsenten Banken hatten bereits ein hochwertiges, sicheres Online-Banking-System entwickelt, welches für die Regierung und das Angebot von elektronischen Verwaltungsleistungen gut zu passen schien; so kam es zu der Übereinkunft, dass Banken-Logins auch als Authentifizierungsmedium für Verwaltungsleistungen genutzt werden können. Diese Partnerschaft entwickelte sich zu einer weitreichenderen öffentlich-privaten Zusammenarbeit, in der Banken, Telekommunikationsunternehmen, Energieunternehmen und staatliche Behörden dieselbe Infrastruktur zur Authentifizierung teilten.

Auch in Deutschland könnte die Öffnung des staatlichen Authentifizierungsprozesses für Banken und Telekommunikationsunternehmen funktionieren und so schneller zu einer breiten Nutzung der elektronischen Verwaltungsleistungen führen. Mehrere deutsche Banken sind bereits an verschiedenen Lösungsansätzen zur Authentifizierungsfrage, wie zum Beispiel Yes und Verimi, beteiligt. Auch die führenden deutschen Telekommunikationsunternehmen denken anscheinend über ein ähnliches Authentifizierungsangebot nach; die Grundlagen sind also schon gelegt.

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Prinzipiell sollte sich ein Land mit einer umfangreichen Auswahl an elektronischen Verwaltungsleistungen sich nicht auf eine einzige Option zur elektronischen Identifizierung verlassen. In Estland sind 99% aller staatlichen Dienstleistungen online verfügbar und es gibt vier verschiedene Optionen zur elektronischen Identifizierung. Diese konkurrieren jedoch nicht miteinander, sondern ergänzen einander vielmehr um sicherzustellen, dass alle Bürger die elektronischen Verwaltungsleistungen so in Anspruch nehmen können, wie es für sie am komfortabelsten ist.

Neben den positiven Entwicklungen in der deutschen Privatwirtschaft lässt auch der neue Koalitionsvertrag hoffen, dass die Regierung die Arbeit an einer neuen Art der mobilen Authentifizierung aufnehmen wird. In diesem Bereich könnte Deutschland vom fortschrittlichsten estnischen Authentifizierungsmedium, Smart-ID, profitieren. Im Jahr 2017 wurde Smart-ID als mobile App eingeführt und erfüllt alle Grundanforderungen der Nutzer: Smart-ID ist kostenlos, sicher, unkompliziert und überall einsetzbar. Im Gegensatz zu anderen Optionen wie Mobile-ID benötigt Smart-ID keine besondere SIM-Karte. Wenngleich Smart-ID noch relativ neu ist, bieten bereits alle großen Banken des Landes und Dutzende andere Firmen die Authentifizierung über diese Applikation an.

Die elektronische Unterschrift – Ein Glücksfall

Besonders wichtig ist: Schon bald werden die Esten die Smart-ID vermutlich auch für rechtsverbindliche elektronische Unterschriften nutzen können.

In Estland hat man schnell gemerkt, dass die elektronische Unterschrift ein essentieller Bestandteil einer jeden Authentifizierungslösung ist. Die vom Staat geförderte, kostenlose elektronische Unterschrift sowie die Entscheidung, dass alle öffentlichen Ämter diese digitalen Unterschriften anerkennen müssen, haben die Entwicklung und Verbreitung der elektronischen Verwaltungsleistungen im öffentlichen und privaten Sektor zweifelsohne beschleunigt. Die elektronische Unterschrift ist ein essentieller Grundstein für Estlands digitale Gesellschaft.

In der in Deutschland so intensiv geführten Debatte über die Digitalisierung des Landes findet die hohe Bedeutung frei verfügbarer und universal anerkannter elektronischer Unterschriften bisher keine Erwähnung. Der Koalitionsvertrag verliert kein einziges Wort zu diesem Thema.

Die elektronische Unterschrift hat in Deutschland das gleiche Schicksal ereilt wie der nPA. Theoretisch existieren beide, aber in der Praxis sind sie teuer und werden weder von Bürgern noch von Unternehmen oder staatlichen Stellen auf breiter Front eingesetzt. Das Beispiel Estland zeigt, wie teuer diese versäumte Gelegenheit Deutschland zu stehen kommt. Schätzungen der estnischen Regierung zufolge spart allein die Nutzung elektronischer Unterschriften jährlich rund 2% des BIP ein. Würden wir den gleichen Prozentsatz auf Deutschland (BIP 3,26 Billionen Euro) anwenden, ergäben sich jährliche Einsparungen von über 65 Milliarden Euro. Selbst wenn die Ersparnis für Deutschland niedriger ausfiele, würde der positive Effekt auf Unternehmen zu höheren Steuereinnahmen führen und die zuvor getätigten Investitionen in Lösungen für die Authentifizierung und elektronische Unterschriften nach estnischem Vorbild amortisieren.

Oft wird auch schlichtweg missverstanden, was genau das Ziel des E-Governments ist. Es geht nicht nur darum, die Effizienz der öffentlichen Dienstleistungen für Einwohner und Unternehmen zu erhöhen; es geht um die Schaffung einer Grundlage für eine nahtlose digitale Gesellschaft, in der Menschen, Unternehmen und Behörden mithilfe der besten verfügbaren digitalen Lösungen einfach und sicher miteinander interagieren können.

Deutschland befindet sich in einer kritischen Phase der digitalen Entwicklung. Um eine breite Nutzung der neu zu schaffenden elektronischen Verwaltungsleistungen sicherzustellen, sollte die Verwaltung sich auch für sichere und nutzerfreundliche Lösungen aus der Privatwirtschaft öffnen. Mit der im Koalitionsvertrag genannten mobilen, digitalen Authentifizierung hat die Regierung die einmalige Gelegenheit, zeitgleich eine bequeme und erschwingliche Lösung für digitale Signaturen zu entwickeln. Davon würde nicht nur die deutsche Wirtschaft profitieren; auch halbgare Lösungen wie De-Mail, POSTIDENT, Identifizierung via Video-Chat oder gar Fax wären damit endlich passé.

Nortal hat zu mehr als einem Drittel aller estnischen E-Transformationsprojekte beigetragen, darunter auch die Lösung der eID-Frage. Wir haben mehr als zehn Jahre an Erfahrung darin, dieses Wissen an Länder in der ganzen Welt zu vermitteln. Kontaktieren Sie mich, wenn Sie mehr darüber erfahren wollen, wie wir Ihnen mit unserer Expertise weiterhelfen können.

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