Service

  • Nahtlose Lösungen

Industrie

  • Government
  • Unternehmen

White Paper

Gestärkt aus der Krise – Digitale City-Plattformen als Chance für den stationären Einzelhandel

Durch Corona-Lockdowns wurden Konsument*innen massenhaft zur Nutzung von Einkaufsmöglichkeiten im Internet getrieben. Aktuell ist nicht absehbar, dass der Boom des Onlinehandels mit dem Ende der Corona-Krise vorbei sein wird. In einer aktuellen Umfrage des BEVH geben beispielsweise drei von vier Online-Shopping Nutzenden an, in Zukunft mehr oder genauso viel im Internet zu bestellen. Dieser beschleunigte Wandel des Einkaufverhaltens stellt den stationären Einzelhandel vor immer größere Herausforderungen. Zugleich stellt sich die Frage, wie sich das Leben in Städten insgesamt verändern wird, wenn dem stationären Einzelhandel in den Innenstädten zunehmend die Kundschaft fehlt.

 

Menschen verschwommen

Ausgangslage

Seit Ende der 1990er Jahre hat die rasante Entwicklung digitaler Technologien tiefgreifende Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft losgetreten. Insbesondere die Internetnutzung ermöglichte eine umfassende Konnektivität, die aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Seit 1997 ist der Anteil der Deutschen ab 14 Jahren, die das Internet nutzen, von weniger als 10 % auf fast 95 % angestiegen¹. Mittlerweile nutzen so gut wie alle Menschen in der Altersgruppe zwischen 14 – 49 Jahren das Internet mindestens ab und zu. Selbst bei den über Siebzigjährigen nutzen mittlerweile drei von vier das Internet. Und das überrascht nicht: Sämtliche Dienste des täglichen Lebens lassen sich heute über das Internet abrufen. Die Beschaffung von Informationen, die Interaktion und Kommunikation mit anderen Menschen sowie die Durchführung von Transaktionen, z. B. zur Bestellung von Waren, verlagern sich immer stärker in die digitale Welt. Laut aktuellen Umfragen ist im Jahr 2020 der Umsatz im Onlinehandel in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um rund 23 % gestiegen und zählt damit zu den klaren Gewinnern der Corona-Krise².

Neue Herausforderungen für den stationären Einzelhandel

Mit der Corona-Pandemie wurde dieser bereits langanhaltende Trend nochmals deutlich verstärkt. Die Notwendigkeit physische Kontakte zu minimieren und damit verbundene Schließungen haben insbesondere den stationären Handel hart getroffen. Durch Corona-Lockdowns wurden Konsumenten massenhaft zur Nutzung von Einkaufsmöglichkeiten im Internet getrieben. Aktuell ist nicht absehbar, dass der Boom des Onlinehandels mit dem Ende der Corona-Krise vorbei sein wird. In einer aktuellen Umfrage des BEVH geben beispielsweise drei von vier Online-Shopping Nutzenden an, in Zukunft mehr oder genauso viel im Internet bestellen zu wollen³.

Dieser beschleunigte Wandel des Einkaufverhaltens stellt nicht nur den stationären Einzelhandel vor immer größere Herausforderungen, vielmehr stellt sich die Frage, wie sich das Leben in Städten insgesamt verändern wird, wenn dem stationären Einzelhandel in den Innenstädten zunehmend die Kunden fehlen. Ein besorgniserregendes Vorzeichen für den Bedeutungsverlust des stationären Einzelhandels in den Innenstädten ist vor allem die sich wandelnde Einstellung der jüngeren Generation. Ergebnisse einer Studie der IFH Köln belegen, dass im Vergleich zu den Vorjahren nur noch wenig junge Kundschaft die Innenstädte gerne aufsucht. Besonders interessant ist, dass bei den unter 25 Jährigen nur jede/r Zweite in die Stadt kommt, um dort auch einzukaufen.4

Der Wandel des Einzelhandels durch die Digitalisierung setzt Städte doppelt unter Druck. Das Problem liegt nicht allein in der zunehmenden Verlagerung des Einkaufens aus den Innenstädten in das Internet. Problematisch ist zudem, dass im Online-Handel starke Skaleneffekte bestehen und die Branche so naturgemäß von wenigen großen Internetplattformen dominiert wird. Für die Städte hat dies einen zusätzlichen Abfl uss von Wertschöpfung zur Folge.

Die Erkenntnis, dass sich der digitale Wandel nicht mehr aufhalten lässt, ist mittlerweile weit verbreitet. Seit Jahren wird in einer Vielzahl von Städten und Regionen in Deutschland mit lokalen Initiativen versucht eigene digitale Lösungen ins Leben zu rufen, die die Möglichkeiten der Digitalisierung zum Vorteil für lokale Wirtschaft, Einwohner und Touristen nutzen wollen. Bisher scheinen dabei jedoch weder Lösungen gefunden worden zu sein, die eine signifi kante Stärkung der lokalen Wirtschaft bewirkt haben, noch sind passende Geschäftsmodelle entwickelt worden, die solche Lösungen dauerhaft fi nanziell tragfähig machen können. Trotzdem scheint der Wille von Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der Verödung der Innenstädte bedingt durch das Aussterben des stationären Einzelhandels mit digitalen City-Plattformen entgegenzutreten durch die Corona Pandemie weiter gestärkt worden zu sein.

Mit dem absehbaren Ende der Corona-Krise steht die Rückkehr zu einem Leben ohne Lockdowns und mit normal geöffneten Geschäften, Restaurants und Veranstaltungsorten kurz bevor. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob die Menschen wieder wie gewohnt in die Innenstädte zurückkehren werden oder ob die Corona-Krise gepaart mit bestehenden Trends eine dauerhafte Veränderung im Verhalten der Menschen bewirkt hat.

Die Frage, wie digitale City-Plattformen genutzt werden können, um den Wandel des digitalen Reifegrades des stationären Einzelhandels positiv zu gestalten; Standortattraktivität und Lebensqualität zu verbessern als auch Wertschöpfung in der Region zu halten wird weiterhin an Bedeutung gewinnen. Dafür ist auch entscheidend, welche Faktoren für einen erfolgreichen Aufbau digitaler City-Plattformen maßgeblich sind.

Entlang von fünf zentralen Thesen wollen wir einen Diskussionsbeitrag basierend auf eigenen Praxiserfahrungen zu diesen Fragen leisten.

These 1: Digitale City-Plattformen als Innovationswerkzeug für die Gestaltung des Wandels des stationären Einzelhandels

Seit Jahren entstehen immer neue digitale Plattformen für verschiedenste Aspekte des täglichen Lebens. Ob es um die Lebensmittellieferung binnen weniger Minuten, Versicherungsvergleiche oder die Kontaktaufnahme mit Handwerkern geht – für fast alle Bedarfe gibt es mittlerweile eine Webseite oder eine App. Trotz der bestehenden Vielfalt digitaler Angebote haben sich in zahlreichen deutschen Städten lokale Initiativen gebildet, um digitale City-Plattformen zu gründen. Der Fokus der City-Plattformen liegt meistens darin lokale Einzelhändler in der digitalen Welt zu stärken. Eine deutschlandweite Nortal-Studie ergab, dass 59,9 % der Befragten finden, dass der Einzelhandel, die Gastronomie und Kulturstätten ihrer Stadt nur schlecht im Internet sichtbar sind. Dem soll entgegengesteuert werden, indem Plattformen den Händlern beispielsweise ein digitales Schaufenster bieten oder dort lokale Online-Marktplätze gebildet werden, auf denen Produkte ortsansässiger Händler bestellt werden können.

Der Erfolg dieser digitalen City-Plattformen bei der Stärkung des lokalen Einzelhandels liegt bisher allerdings häufig noch schleppend hinter den Erwartungen zurück.

59,9 % der Befragten finden, dass der Einzelhandel, die Gastronomie und Kulturstätten ihrer Stadt nur schlecht im Internet sichtbar sind.

So fand eine Studie der Hochschule Koblenz aus dem Jahr 2018, in der mehr als 200 Händler, die an lokalen Online-Projekten teilnehmen, befragt wurden heraus, dass die überwiegende Mehrheit keinen spürbaren Anstieg an Kundschaft in ihren Läden oder an OnlineVerkäufen generieren konnte. Aus Nutzersicht schaffen es insbesondere lokale Online-Marktplätze noch nicht spürbare Vorteile gegenüber den großen eCommerce Plattformen zu bieten, da das Sortiment deutlich begrenzter und die Preise oft höher sind. Es stellt sich die Frage, warum digitale City-Plattformen bislang die eingangs beschriebenen Herausforderungen der Digitalisierung und Corona-Krise für den regionalen Einzelhandel, noch immer nicht zufriedenstellend lösen konnten. Trotz der Schwächen einiger Ansätze können digitale City-Plattformen Mehrwerte für Menschen und Unternehmen bieten. Gerade die große Anzahl digitaler Angebote führt dazu, dass Menschen das Problem haben, zahlreiche Plattformen oder Apps nutzen zu müssen, um den Alltag in ihrer Stadt zu navigieren. Die Dominanz großer Suchmaschinen und eCommerce Plattformen, bei denen Sichtbarkeit oft teuer erkauft werden muss, führt dazu, dass die Vielfalt des lokalen Angebots in der digitalen Welt kaum sichtbar ist.

Genau diese Herausforderungen können digitale City-Plattformen adressieren. Sie bündeln lokal relevante Informationen an einem Ort und machen die lokale Vielfalt somit besser sichtbar. Sie werden zum nützlichen Begleiter für das tägliche Leben, indem sie den Menschen einen einfachen, bequemen und schnellen Überblick über das Leben in ihrer Stadt bieten. Lokalen Unternehmern helfen sie ihre Leistungen und Angebote sichtbar zu machen, indem sie einen zusätzlichen, einfachen und günstigen Kanal bieten, um Menschen in der Stadt schnell und gezielt zu erreichen. Mit diesen grundlegenden Mehrwerten können digitale City-Plattformen eine stetige Nutzerbasis unter Unternehmen und Bürgern aufbauen und zu einer ersten Verbesserung von Standortattraktivität und der Einfachheit des täglichen Lebens beitragen. Die Stadt-App Bliggit verfolgt beispielsweise einen 360-Grad-Ansatz. Holger Hammes, Geschäftsführer von Bliggit, verriet in einem Gespräch mit Nortal, dass dieser digitale 360-GradBlick auf die Stadt Wuppertal mit besserer Sichtbarkeit des lokalen Einzelhandels und einfacherem Zugang zu Angeboten und Veranstaltungen bereits helfen kann, mehr Menschen zu einem Besuch der Innenstädte zu motivieren.

Dadurch alleine werden diese Plattformen jedoch auf Dauer keinen spürbaren Einfluss auf den Wandel der Innenstädte ausüben können. Einen größeren Einfluss werden neu aufkommende Technologien, wie Augmented Reality, AI, verstärktes Geomarketing und immer neue Smart City Technologien haben, die von innovativen Geschäftsmodellen begleitet werden. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass digitale City-Plattformen zunehmend mit neuen digitalen Angeboten in Konkurrenz treten werden. Andererseits bieten innovative Technologien und Geschäftsmodelle auch eine Chance für digitale City-Plattformen. Vor allem, wenn sie bereits über eine stetige Nutzerbasis sowie eine ausreichend flexibles technologisches Gerüst verfügen, können sie als Innovationswerkzeug für die Erprobung von neuen Technologien im lokalen Kontext sowie damit verbundener neuartiger Geschäftsmodelle dienen.

Familie beim Einkaufen

Innovative digitale Ansätze

Im Gegensatz zu neuen Anbietern müssen sie nicht erst mühsam eine Nutzerbasis aufbauen, sondern können stattdessen innovative Ideen mit bestehenden Usern erproben. Die grundsätzliche Herausforderung digitaler City-Plattformen auf einen engen geographischen Raum mit einer begrenzten Anzahl von Nutzern beschränkt zu sein, kann so zum Vorteil werden. Statt Geld für deutschlandweite Marketingkampagnen ausgeben zu müssen, um eine innovative Geschäftsidee zu erproben, beschränken sich auch die Aufwände zunächst auf einen Standort. Zudem kann idealerweise auf einer bestehenden technologischen Plattform aufgesetzt werden, die modular um die zu erprobenden Funktionen ergänzt werden kann.

So kann einfach erprobt werden, wie innovative digitale Ansätze, wie z. B. Social Shopping, Gruppenkäufe, Flash Sales, Gamification oder Geomarketing auf den stationären Handel übertragen werden können und so für die Belebung der Innenstädte und Stärkung lokaler Händler genutzt werden können.

These 2: Städteübergreifende Kooperation zur Bündelung von Kräften

Die Entwicklung digitaler Lösungen, um den Wandel der Innenstädte zum Wohl der Bevölkerung und des lokalen Einzelhandels zu gestalten ist eine solch umfassende Herausforderung, dass einzelne Städte sie nicht allein lösen können.

Bisher wurden lokale digitale Initiativen vielfach als Prestigeprojekte behandelt, die die Innovationsfähigkeit und digitale Affi nität der jeweiligen Region unter Beweis stellen sollten. Häufi g wurden dafür eigens individuelle Lösungen entwickelt, um den spezifi schen Bedürfnissen und Besonderheiten der Stadt zu entsprechen. Doch innovative digitale Plattformen, die in ihrer Innovationskraft sowie der Qualität ihrer Funktionalitäten und Bedienbarkeit mit den Angeboten internationaler Technologiekonzerne konkurrenzfähig sein sollen, brauchen ausreichend Ressourcen. Dies betrifft vor allem die Entwicklung der technischen Plattform, aber auch fortlaufende Aufwände für die lokale Vermarktung und den Betrieb der Plattform.

Insbesondere bei der Entwicklung der technologischen Basis einer digitalen City-Plattform bieten sich Synergiepotenziale für städteübergreifende Kooperationen. Mithilfe moderner IT-Architekturen ist es möglich eine gemeinsame technologische Basis zu schaffen, die mehrere Städte als Grundlage für ihre digitalen City-Plattformen nutzen können. Diese sollte einen Grundstock an häufi g genutzten Funktionalitäten enthalten, die jede Stadt nach ihren Bedürfnissen nachnutzen und anpassen kann. Dazu sollten in erster Linie Informationsangebote gehören, wie z. B. regionale Nachrichten, Veranstaltungskalender und eine Schaufensterfunktion für Unternehmen und Produkte. Weiterhin können auch Kommunikationsfunktionen sinnvoll sein. Hier bietet sich beispielsweise eine Chatfunktion an, damit Nutzende Händler/innen ansprechen können. Durch die Bereitstellung von Integrationsmöglichkeiten können bestehende digitale Angebote in der Region, wie z. B. digitale Verwaltungsdienste der Stadtverwaltung in die Plattform eingebunden werden. Letztlich können durch Funktionen wie lokale Marktplätze oder einen Ticketshops Transaktionen mit lokalen Shops Händlern oder Veranstaltern direkt in der Plattform abgewickelt werden.

Zum Zweck der Entwicklung einer solchen gemeinsamen technologischen Basis für eine digitale City-Plattform sollten sich interessierte Städte oder kommunale Unternehmen zusammenschließen. Es gibt in Deutschland ausreichend ähnliche Beispiele für themenspezifi sche Kooperationen in der Digitalisierung. So arbeiten Bund und Länder in einer Entwicklergemeinschaft gemeinsam an der Entwicklung der ePayment-Lösung ePayBL; die 79 IHKn in Deutschland verwenden die gleiche technologische Basis für das Online-Portal „Meine IHK“, das Zugang zu den digitalen Services der einzelnen lokalen IHKn bietet; und beim Thema elektronische Identitäten kooperieren beispielsweise Sparkassen und Volksbanken über Investitionen beim Identitätsdienstleister yes und eine Vielzahl großer deutscher Konzerne bei Verimi.

Solche Kooperationsansätze lassen sich problemlos auf das Thema digitale City-Plattformen übertragen und sind alternativlos, um fortschrittliche digitale Lösungen unabhängig von dominanten internationalen Technologieunternehmen zu entwickeln.

Stadt Berufsverkehr

These 3: Relevanz vor Kommerzialisierung als Geschäftsprinzip

Eine inhärente Herausforderung lokaler Initiativen zur Entwicklung von digitalen City-Plattformen liegt darin, dass sie meistens ins Leben gerufen werden, um Probleme ihrer Initiatoren zu lösen und nicht Probleme ihrer potenziellen Nutzer. Gewöhnlich entstehen digitale Geschäftsideen auf Grundlage eines neuartigen, besseren Ansatzes ein spezifi sches Problem einer Gruppe von Menschen zu lösen. City-Plattformen werden oft andersherum konzipiert – lokale Unternehmen wollen etwas tun, um ihre Sichtbarkeit im Internet zu verbessern; die Stadtverwaltung und der lokale Einzelhandelsverband wollen dagegen ankämpfen, dass ihre Innenstadt ausstirbt; das örtliche Stadtwerk will die vielen Daten, die es hat, für Bürger einfacher zugänglich machen, um die Kundenbindung zu steigern; Bürgermeister wollen einfacher mit Wählerinnen und Wählern kommunizieren, u. s. w.

Voraussetzungen für den Erfolg

Das führt häufig dazu, dass digitale City-Plattformen ihre Initiatoren in den Mittelpunkt des digitalen Angebots stellen. So gibt es zahlreiche City-Plattformen, die Informationen zu Angeboten von Stadtwerken, wie Abfallkalender, Trinkwasserqualität oder Mobilitätsangebote bündeln. Andere Plattformen stellen lokale Händler in den Mittelpunkt und geben ihnen entweder ein Schaufenster in die digitale Welt oder sogar einen lokalen Online-Marktplatz in der Hoffnung, dass die Heimatverbundenheit möglicher Nutzer in Einkäufe bei lokalen Händlern umgemünzt werden kann.

Solche Plattformen haben häufig nicht ausreichend Relevanz, um regelmäßig genutzt zu werden oder werden als rein kommerzielle Werbeplattformen wahrgenommen, weil sie es nicht schaffen relevante Bedürfnisse ihrer Nutzer zu befriedigen.

Grundvoraussetzung für den Erfolg digitaler City-Plattformen ist, dass sie eine kritische Masse an wiederkehrenden Nutzern erreichen. Dafür müssen Inhalte und Funktionalitäten eine hohe Relevanz im Leben ihrer Nutzer haben. Folglich darf die Konzeption von City-Plattformen nicht von den Bedürfnissen ihrer Initiatoren ausgehen. Stattdessen muss die Frage, welche relevanten Bedürfnisse der Menschen vor Ort eine City-Plattform deutlich besser lösen kann als bestehende Angebote, in den Mittelpunkt gerückt werden.

Umfragen zu den Bedürfnissen und Ansprüchen der Deutschen an eine City-Plattform aus dem Mai 2021 ergeben, dass sich 50,1 % Angebote der Verwaltung wie zum Beispiel ein Online-Service zur Passverlängerung oder bei der Ummeldung des Wohnorts wünschen. Rund 45 % finden Angebote lokaler Geschäfte und Wirtschaft wie Online-Shops oder Sport- und Freizeitangebote wie die Buchung einer Eintrittskarte interessant.

Selten wird es möglich sein mit einer digitalen City-Plattform als Erster eine Lösung für bestehende Bedürfnisse anzubieten. Häufig reicht es allerdings auch schon, wenn es möglich ist eine deutlich bessere Lösung für einen bestimmten Bereich anzubieten oder möglichst viele relevante Bedürfnisse gebündelt zu lösen. So gibt es beispielsweise in vielen kleineren deutschen Großstädten zwar bestehende digitale Informationsangebote zu lokalen Veranstaltungen, häufig weisen diese jedoch eine nicht zeitgemäße Nutzererfahrung auf. Sofern eine City-Plattform einen gut gepflegten Veranstaltungskalender mit bestechender Nutzererfahrung anbietet, kann dies schon ausreichen, um primärer Anlaufpunkt für Veranstaltungsinfos in der Stadt zu werden.

45 % finden Angebote lokaler Geschäfte und Wirtschaft wie Online-Shops oder Sportund Freizeitangebote wie die Buchung einer Eintrittskarte interessant.

Selbstverständlich müssen City-Plattformen auch Platz für kommerzielle Inhalte und Angebote ihrer Initiatoren und Kunden bieten. Allein um finanziell tragfähig sein zu können ist dies unausweichlich. Für den Weg dorthin brauchen die Plattformbetreiber jedoch Geduld und ausreichend Ressourcen. Die höchste Priorität muss zunächst stets der Aufbau einer breiten Nutzerbasis haben. Erst dann kann schrittweise erprobt werden, welcher Grad an Kommerzialisierung der Plattform möglich ist, ohne die Relevanz aus Nutzersicht zu sehr einzuschränken.

Frau mit Mobiltelefon

These 4: Radikale Nutzerzentrierung als Erfolgsfaktor

Die in These 3 beschriebene Schaffung relevanter Inhalte und Funktionen für die potenziellen Nutzenden in der Stadt ist ein zentraler Bestandteil eines übergeordneten Erfolgsfaktors digitaler City-Plattformen: Der radikalen Zentrierung auf die Anwender/innen.

Radikale Nutzerzentrierung bedeutet, dass in allen Aspekten der Gestaltung der Plattform stets die Außenperspektive von Nutzern als maßgeblicher Faktor einbezogen wird. So wird sichergestellt, dass Inhalte und Funktionalitäten der Plattform reale Bedürfnisse von potenziellen Usern erfüllen. Neben der nutzerorientierten Auswahl relevanter Inhalte und Funktionalitäten, muss die radikale Nutzerzentrierung vor allem auch eine zeitgemäße Nutzererfahrung sicherstellen.

Ein nutzer/innenorientiertes Serviceangebot ist unerlässlich

Noch heute unterschätzen viele digitale Initiativen in Städten die Bedeutung von Bedienbarkeit und Design und bieten ihren Nutzern nicht annährend das, was sie von den Plattformen und Apps der großen internationalen Technologieunternehmen gewohnt sind. Florian Marcus aus dem e-Estonia Briefing Centre weiß aus erster Hand, dass ein userzentriertes Service-Design einer der Hauptfaktoren für den Erfolg in Estland beim Aufbau einer digitalen Gesellschaft war: „Für die Menschen zählen drei Dinge: Zeitersparnisse, Kostenersparnisse und Stressersparnisse. Wenn ein digitaler Service zwei oder drei dieser Punkte erfüllt, wird er mit großer Wahrscheinlichkeit bei der Bevölkerung auf großes Interesse stoßen.“ Der estnische Staat ging hier sogar noch einen Schritt weiter: „Die Regierung hat sich von Anfang an darauf konzentriert, dass die digitalen Dienstleistungen nicht nur ein virtuelles Spiegelbild der traditionellen, papierbasierten Prozesse sind. Stattdessen haben Behörden und IT-Unternehmen die Chance genutzt, bestehende interne Strukturen gleich mitaufzuräumen.“

Um im Wettkampf der zahlreichen digitalen Angebote bestehen zu können und auch von der Gesellschaft als relevant eingestuft zu werden, ist eine nutzer/innenorientiertes Serviceangebot mithin unerlässlich.

Eine einfache Bedienbarkeit und ein zeitgemäßes Design sind allein schon notwendig, um neugierige Nutzer, die die Plattform zum ersten Mal erkunden, nicht auf Anhieb zu verlieren. Für neue Nutzer haben alle digitalen Angebote die Herausforderung gemeinsam, dass sie zunächst „erlernt“ und ihr Mehrwert erkannt werden müssen. Folgt man dem Ansatz der radikalen Nutzerzentrierung können für die neuen Nutzer zumindest optimale Bedingungen geschaffen werden, damit sie sich schrittweise mit der ungewohnten Umgebung vertraut machen und ihren Mehrwert immer weiter für sich selbst entdecken können. Weiterhin hat eine gute Nutzererfahrung einen positiven Einfl uss auf zwei der zentralen Erfolgsindikatoren einer jeden digitalen Plattform – die Häufi gkeit und Dauer der Nutzung durch die User. Für eine mögliche Monetarisierung durch Online-Werbung sind diese Indikatoren von größter Bedeutung. Insofern ist der Ansatz der radikalen Nutzerzentrierung auch wirtschaftlich sinnvoll.

Für ein ganzheitliches und detailliertes Verständnis der Nutzenden und ihrer Bedürfnisse sind vor allem umfangreiche User-Recherchen notwendig. Dafür kommen verschiedene Analyse-Methoden in Frage, wie zum Beispiel Interviews, Umfragen oder die Verwertung aktueller Marktforschungsstudien. Solche Recherchen sollten regelmäßig durchgeführt werden, um kontinuierliches Feedback zur Qualität der User-Erfahrung sowie der Relevanz von Inhalten und Funktionen der Plattform zu gewinnen. Regelmäßige User-Recherchen helfen den Plattformbetreibern neue Perspektiven zu gewinnen und versteckte Nuancen zu entdecken und daraus Verbesserungspotenziale für die Plattform zu defi nieren.

Die Herausforderung einer tatsächlich gelebten radikalen User-Zentrierung liegt jedoch nicht allein in dem damit verbundenen Aufwand, sie liegt vor allem auch darin, den Ergebnissen von UserRecherchen entgegen eigenen Ansichten, Vorlieben und Bedürfnissen zu vertrauen und entsprechend zu handeln.

Experteninterview mit Florian Marcus, e-Estonia Briefing Centre

Florian Marcus, der Digital Transformation Adviser e-Estonia Briefing Centre erklärt uns im Interview, dass Estlands erfolgreiche Übernahme digitaler Lösungen auf nutzerzentriertes Service-Design und die Integration digitaler Dienste mit internen Prozessen zurückzuführen ist. Die Zusammenarbeit zwischen Regierung, Verwaltung und Wirtschaftssektor bei den Smart City-Initiativen Estlands steckt noch in den Kinderschuhen, aber es wurden bereits Fortschritte erzielt.

Zum Interview

Experteninterview mit Holger Hammes von bliggit

Holger Hammes, Geschäftsführer Bliggit, sprach darüber, wie die Idee zur Stadt-App „Bliggit“ für Wuppertal entstand, worin sich Bliggit sich von anderen Stadtplattformen unterscheidet und warum der 360-Grad-Ansatz von Bliggit die Stadt digital erlebbar macht und die enge Zusammenarbeit mit lokalen Partner*innen fördert.

Zum Interview
Mann und Frau unterhalten sich

These 5: Zusammenarbeit vertrauenswürdiger Akteure als Fundament

Auch wenn die Ausgestaltung digitaler City-Plattformen maßgeblich aus Sicht der Nutzer gedacht werden muss, ist sowohl die Konstellation der Gründer und Betreiber der Plattform als auch ihr Zusammenspiel mit wichtigen lokalen Akteuren von entscheidender Bedeutung für ihren Erfolg. City-Plattformen müssen von Anfang an von einer breiten Koalition lokaler Stakeholder aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft unterstützt werden.

Die Mitwirkung und öffentliche Unterstützung durch vertrauenswürdige Akteure, wie Stadtverwaltung, kommunaler Unternehmen, lokal ansässiger Banken und Verbände ist essenziell, um das Vertrauen potenzieller Nutzer und insbesondere lokaler Unternehmen zu gewinnen, die meistens in Form von Partnerschaften auf der Plattform aktiv werden sollen. Dies ist vor allem in der so schwierigen StartPhase entscheidend, wenn lokale Unternehmen für die Teilnahme an einer Plattform begeistert werden müssen, die noch keine Nutzenden hat und deren Erfolg ungewiss ist. Die Bevölkerung wird sich auch einfacher für die Nutzung einer digitalen City-Plattform begeistern lassen, wenn diese von vertrauenswürdigen Akteuren getragen wird.

Gleichzeitig besteht das Risiko zu vieler Köche und der versalzten Suppe, wenn zu viele Stakeholder ein Mitspracherecht bei der Ausgestaltung der Plattform haben. Demnach sollte der Kreis der Gründer/ innen- und Betreibenden einer solchen Plattform auf eine steuerbare Kerngruppe vertrauenswürdiger Akteure beschränkt werden, die über ausreichend Finanzkraft und Agilität verfügen, um ein Projekt dieser Größenordnung längerfristig voranzutreiben. Dieser Kerngruppe obliegt es auch, die dauerhafte Unterstützung weiterer Stakeholder in der Stadt sicherzustellen.

Die Frage, welche lokalen Akteure am besten geeignet sind, um digitale City-Plattformen zu gründen und zu betreiben, ist kontrovers. Klar ist, dass für den Aufbau einer solchen Plattform in der Regel eine lokale Gesellschaft erforderlich ist, die wie ein StartUp agiert und sich vor allem auf Marketing und Vertrieb konzentriert. Dies erfordert entsprechendes Knowhow sowie betriebswirtschaftliches Denken – Eigenschaften die sich eher in der Wirtschaft als in der öffentlichen Verwaltung wiederfi nden. Gleichzeitig ist eine Verbundenheit mit und Vernetzung innerhalb der Stadt vonnöten, um ausreichend Vertrauen für ein so bedeutendes Projekt für den stationären Einzelhandel und bei statiofür die Stadt zu erreichen.

Damit sind vor allem Unternehmen mit einer tiefen lokalen Verwurzelung, wie kommunale Unternehmen oder lokale Banken, prädestiniert als Träger digitaler City-Plattformen aktiv zu werden. Diese Unternehmen haben häufi g ein inhärentes Interesse an dem Wohlergehen von Menschen und Wirtschaft in ihrer Stadt, da ihr eigener wirtschaftlicher Erfolg davon abhängig ist. Zudem genießen diese Unternehmen häufig das Vertrauen der lokalen Bevölkerung und Wirtschaft. Eine Umfrage der Nortal AG ergab, dass 40,6 % der potenziellen User in deutschen Städten am ehesten einem Zusammenschluss regionaler Akteure, wie den Stadtwerken und lokal verwurzelter Banken als Anbieter einer Smart City-Plattform vertrauen würden.

40,6 % der potenziellen Nutzer in deutschen Städten würden am ehesten einem Zusammenschluss regionaler Akteure (…) als Anbieter einer Smart City-Plattform vertrauen.

Fazit

Gesellschaftliche und technologische Entwicklungen gepaart mit den dramatischen Auswirkungen der Corona-Krise treffen den stationären Einzelhandel äußert hart und werden das Leben in den Innenstädten verändern. Obwohl die Digitalisierung diese Entwicklungen mitverursacht, bietet sie auch Chancen für die Stärkung der Innenstädte und der dort ansässigen Unternehmen. Digitale City-Plattformen sind ein geeignetes Mittel, um den Wandel der Innenstädte zum Wohl der Städte und der lokalen Wirtschaft aktiv zu gestalten. Sie können zur Verbesserung der Sichtbarkeit von lokalen Unternehmen Händlern in der digitalen Welt beitragen und gleichzeitig das Leben für die Menschen in der Stadt vereinfachen.

Doch die Entwicklung solch digitaler Plattformen mit regionalem Fokus steckt noch immer in den Kinderschuhen. Mit der stetigen Weiterentwicklung digitaler Technologien und der Verbreitung digitaler Geschäftsmodelle in immer weitere Geschäftsfelder, werden in den nächsten Jahren mehr und mehr innovative Lösungen für den stationären Einzelhandel, die Gastronomie sowie die Veranstaltungs- und Tourismuswirtschaft entwickelt werden. Denkbar sind z. B. Plattformen, mit denen gezielt Kunden in der Nähe des Geschäfts oder Stammkunden, die länger nicht mehr im Geschäft waren, angesprochen werden können.

Digitale City-Plattformen sind das optimale Medium, um solch innovative Ansätze zur Stärkung der Innenstädte und der dort ansässigen Wirtschaft effi zient zu erproben, da sie häufi g bereits über eine ausreichende Nutzerzahl und technologische Basis verfügen. Städte und an dem Thema interessierte Unternehmen sollten nach überregionalen Kooperationsmöglichkeiten suchen. Insbesondere sollte die Entwicklung einer fortschrittlichen technologischen Basis in einem größeren Verbund angestrebt werden, um ausreichend Ressourcen für eine digitale Lösung auf Augenhöhe mit internationalen Technologiekonzernen aufwenden zu können. Gleichwohl sollte die gemeinsame digitale Lösung ausreichend Flexibilität aufweisen, damit jede Stadt sie entsprechend lokalen Gegebenheiten und Präferenzen anpassen kann.

Bei der Umsetzung einer digitalen City-Plattform muss primär auf die Relevanz der Inhalte und Funktionalitäten für die avisierten Nutzergruppen geachtet werden. City-Plattformen dürfen nicht als reine Werbeplattformen für lokale Unternehmen wahrgenommen werden und sollten stattdessen einen digitalen 360-Grad-Blick auf die Stadt bieten.

Um die Relevanz von Inhalten und Funktionalitäten sowie eine optimale Nutzererfahrung sicherzustellen, sollten digitale City-Plattformen den Ansatz einer radikalen Nutzerzentrierung verfolgen. Dies erfordert eine konstante Berücksichtigung der Nutzersicht in die Entwicklung und Optimierung der Plattform.

Letztlich ist für den Erfolg digitaler City-Plattformen auch entscheidend, welche Akteure in der Stadt hinter der Plattform stehen und sie betreiben. Entscheidend, um Unternehmen und Bürger für die Plattform zu begeistern, ist dass sich eine breite Koalition aus vertrauenswürdigen Akteuren in der Stadt für die Plattform einsetzt. Gleichwohl muss der Kern der tatsächlichen Gesellschafter auf eine steuerbare Größte begrenzt bleiben. Als Gesellschafter bieten sich vor allem Unternehmen mit starkem Bezug zu der Stadt wie kommunale Unternehmen oder lokale Banken an, da sie über wirtschaftliche Kompetenz, lokale Netzwerke und ausreichend Ressourcen verfügen, um Projekte dieser Größenordnung zu stemmen.

Quellenverzeichnis

  1. S. 6, ARD/ZDF-Onlinestudie 2020, vergleiche: https://www.ard-zdf-onlinestudie.de/files/2019/0919_Beisch_ Koch_Schaefer.pdf, zuletzt aufgerufen am 21.05.2021
  2. S. 6, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/3979/umfrage/e-commerce-umsatz-in-deutschlandseit-1999/, zuletzt aufgerufen am 20.05.2021.
  3. S. 6, vergleiche: https://www.dw.com/de/corona-sorgt-f%C3%BCr-beispiellosen-boom-beim-onlinehandel/ a56348180, zuletzt aufgerufen am 21.05.2021.
  4. S. 7, vergleiche: https://www.ifhkoeln.de/infoblog-covid-19-und-die-auswirkungen-fuer-den-handel/, zuletzt aufgerufen am 21.05.2021.
  5. Omnibus-Channel-Umfrage Nortal AG in Zusammenarbeit mit INNOFACT AG „Smart City“, 19. Mai 2021.

Mehr zum Thema

Erfolgsgeschichte

Wuppertal Schwebebahn
  • Nahtlose Lösungen
  • Government

bliggit – Die innovative Stadt-App für Wuppertal

bliggit ist die innovative Stadt-App für Endnutzer*innen und ein Web-Portal für lokale Partner*innen sowie bliggit Administratoren. Ziel war die Entwicklung einer zentralen Stadt-App für Bürger*innen und lokale Unternehmen, um die Lebensqualität und Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Wuppertal zeitgemäß zu fördern.

Artikel

Wuppertal Schwebebahn
  • Nahtlose Lösungen
  • Government
  • Unternehmen

Interview mit Holger Hammes von bliggit

Holger Hammes, Geschäftsführer Bliggit, sprach darüber, wie die Idee zur Stadt-App „Bliggit“ für Wuppertal entstand, worin sich Bliggit sich von anderen Stadtplattformen unterscheidet und warum der 360-Grad-Ansatz von Bliggit die Stadt digital erlebbar macht und die enge Zusammenarbeit mit lokalen Partner*innen fördert.

Artikel

Panorame der Skyline von Tallin in Estland
  • Nahtlose Lösungen
  • Government
  • Unternehmen

Interview mit Florian Marcus von e-Estonia

Florian Marcus, der Digital Transformation Adviser e-Estonia Briefing Centre erklärt uns im Interview, dass Estlands erfolgreiche Übernahme digitaler Lösungen auf nutzerzentriertes Service-Design und die Integration digitaler Dienste mit internen Prozessen zurückzuführen ist. Die Zusammenarbeit zwischen Regierung, Verwaltung und Wirtschaftssektor bei den Smart City-Initiativen Estlands steckt noch in den Kinderschuhen, aber es wurden bereits Fortschritte erzielt.

Kontaktieren Sie uns 

Wir machen Ihr Projekt zu unserem Anliegen.